Kulturelle Aneignung?
Heute (25.03.2022) sollte die Sängerin Ronja Maltzahn mit ihrer Band bei dem Konzert von FFF auftreten. Doch leider wurde sie wegen ihrem Äußeren (Dreadlocks) wieder ausgeladen.
Eigentlich wollte ich zum Thema mit Fridays for Future vs. der Sängerin Ronja Maltzahn einen eigenen Beitrag schreiben, bin aber durch aufmerksame Abonnenten und Freunde auf diverse Beiträge gestoßen, die eigentlich schon alles gesagt haben, was es zu sagen gibt. Ich fasse diese hier gerne für dich zusammen, denn sie sind alle sehr lesenswert!
Erst mal wäre da der Beitrag aus dem DreadMag der DreadFactory vom 21.07.2021 (!!), welcher mit folgendem Text beginnt:
Darf man heute noch „Dreadlocks“ sagen? Wer hat die Dreadlocks eigentlich erfunden? Wo liegt der Ursprung dieser Frisur? Wie sieht es mit einer europäischen „Dreadlocks-Kultur“ aus – gibt es die überhaupt bzw. darf es sie geben? Sind Locs tatsächlich Kultur oder gehören sie zum menschlichen Körper natürlicherweise dazu? Was bedeutet kulturelle Aneignung im Bezug auf Dreadlocks? Darf ich als Weiße so einen Artikel überhaupt verfassen? Um diese schwierigen und hoch kontrovers diskutierten Themen soll es in diesem Artikel gehen.
Hier im DreadMag der DreadFactory weiter lesen… (es lohnt sich!!)
Auch hat Bine, die Gründerin der DreadFactory, vor Jahren (im Januar 2017) bereits ein zum Thema passendes Video auf Youtube veröffentlicht:
Meine Freundin Felis schrieb einen Beitrag in ihrem Blog zum brisanten Thema, den ich hier auch gerne zitieren darf:
Hintergrund meines Artikels ist die Ausladung der Sängerin Ronja Maltzahn vom Klimastreik von Friday for Future in Hannover am kommenden Freitag (25.03.2022), welche dort singen wollte. Ausgeladen wurde sie, weil Ronja Maltzahn ein Dreadhead ist und die Organisatoren von Friday for Future Hannover dies als kulturelle Aneignung betrachten.
Kultur dient dem Menschen. nicht anders herum.
Kultur ist dazu da, sich als Mensch selbst zu stabilisieren. Sich selbst einem Anker in der eigenen Identität zu schaffen. Kultur ist kein starres Gebilde. Dem entsprechend ist es auch völlig in Ordnung, sich seinen eigenen und ganz persönlichen Kulturrahmen zu schaffen. Wenn dieser Kulturrahmen beinhaltet, das man indisches, beziehungsweise asiatisches Essen liebt, afrikanische Kleidung trägt und ein Dreadhead ist, dann zeigt das doch nur eine Wertschätzung. Das hat mit rassistisch benannter, kultureller Aneignung nicht dass Geringste zu tun.Ganz im Gegenteil. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mir ein Kulturgut aneigne, dessen Ursprung ich ablehne, dürfte wohl eher gering sein.
Wahrscheinlicher ist es, das Menschen übernehmen, was sie gut finden und hoch achten.
Es mag durchaus Sinn machen, sich mit der Herkunft der Dinge, Eigenarten und Lebensweisen, die man so pflegt, zu befassen. Ganz egal wo diese her kommen. Denn erst, wenn man die Hintergründe kennt, kann man auch Bedeutungen erfassen und für sich selbst entscheiden, ob man weiterhin diese kulturelle Errungenschaft teilen möchte oder nicht. Sowieso behaupte ich, dass es keine kulturelle Aneignung gibt, sondern einen kulturellen Austausch. Der Begriff Aneignung ist trennend. Dies ist deins, jenes ist meins. Und anders darf es nicht sein. Ich schließe dich von diesem Kulturgut aus. Klingt für mich nicht gerade nach „alle Menschen sollen eins sein“.
Dreadlocks beispielsweise gibt es in so ziemlich allen Kulturen in denen Menschen filzfähige Haare tragen. Aus dem europäischen Raum nun sind sie als sogenannte Weichselzöpfe bekannt. Teilweise mit krankheitsbedingtem Hintergrund, denn die Hygiene war in einigen Epochen der europäischen Geschichte katastrophal. Jedoch diese verfilzten Haare, die Weichselzopf genannt wurden, in Anlehnung an die polnische Region um die Weichsel, wo diese Verfilzung noch bis ins 19. Jhd. aufgrund Hauterkrankungen und mangelnder Hygiene verbreitet war, wurden auch geschätzt. So schrieb man ihnen zu, sie würden ihren Träger stärken und Krankheiten aus dem Körper ziehen und aufnehmen. Soldaten ließen ihre Haare verfilzen, um ihren Nacken vor Schwerthieben in selbigen zu schützen.
Auch in Europa waren teilweise verfilzte Frisuren populär, beispielsweise am Hof von König Christian II. von Dänemark und Norwegen (1577–164). Der Weichselzopf des Königs hatte die Form eines „Schweineschwanzes“, der von der linken Seite seines Kopfes herabhing und mit einer roten Schleife verziert war. Um dem König zu schmeicheln, wurde diese Haartracht von den Menschen an seinem Hof imitiert […] und dienten verfilzte Zöpfe als modische royale Frisurenvariante (Zitat Wikipedia).
Römische Berichte besagen, dass die Kelten ihr Haar „wie Schlangen“ trugen.
Bei den Azteken galt eine Frisur aus verfilzten Haaren als Zeichen des Priesterstandes.
Die hinduistische Mönchsgruppe der Sadhus sieht ihre Dreads als Zeichen des Bundes mit Shiva an. Die Hippiebewegung der 70er -80er Jahre ließ sich hiervon inspirieren.
Im islamischen Sufismus tragen die Mystiker Dreadlocks.
Im Senegal tragen die Mitglieder eines islamischen Sufiordens Dreads als Ausdruck ihrer Religion.
Selbst im alten Ägypten wurden Mumien mit Dreadlocks gefunden.
Man findet sie wirklich überall und es ist eine der ältesten Frisuren weltweit.Woher kommt aber nun überhaupt der Begriff Dread für verfilzte Haarstränge und was ist das so erklärte Problem, wenn Weiße (Menschen des mitteleuropäischen Ursprungs) sie tragen?
Der Ursprung der Dreads findet sich in der Rastafaribewegung. Sie bildeten in den 1930ern auf Jamaika eine Minderheit unter von Armut betroffenen Menschen. Anhänger des Behauptungen zufolge als wiedergekehrten Messias erkannten Äthiopiers Ras Tafari Makonnen, der sich als Haile Selassie zum Kaiser krönen ließ. Sie weigerten sich, ihr Haar schneiden oder entwirren zu lassen, solange der nach dem Ende des italienisch-äthiopischen Krieges geflohene Haile Selassie nicht wieder als Kaiser regieren würde.
Auch besagt ein weiterer Mythos, das die Rastafari ihre Haare wachsen und verfilzen lassen würden, damit es ihnen Macht und Stärke wie dem Samson verleiht.
Anderen Quellen zufolge haben die Rastafaris sich ihre Dreadlocks kenianischen Unabhängigkeitskämpfern der Mau-Mau-Bewegung abgeschaut bzw. den zur damaligen Zeit auf Jamaika leben, indischen Saduhs.
Das Wort Dread bedeutet Furcht, Angst, Schreckensgestalt, Grauen. Menschen mit verfilzten Haaren wurden von Menschen mit mitteleuropäischem Hintergrund eher als abstoßend empfunden, da sie nicht dem Schönheitsideal entsprachen. Auch verbreiteten Rastafaris selbst negative Gerüchte, um Furcht zu schüren. Auch die Bedeutung des Wortes Dread für die Anhänger der späteren Rastafaris als „Respekt vor Gott habend“ wird genannt.
Problematisch wird es nun in den Augen jener, die fordern, dass Menschen mit mitteleuropäischem Hintergrund keine Dreads tragen sollen, weil PoC einerseits in der Zeit der Kolonialisierung und der Sklavenhaltung gezwungen wurden, durch schlechte hygienische Bedingungen verfilzte Haare zu ertragen, ob sie wollten oder nicht.
Andererseits wurden Dreadlocks in den Bürgerrechtsbewegungen farbiger Menschen zum Widerstandssymbol erklärt. Amerikanische Rassisten haben damit reagiert, Menschen mit Dreadlocks ihrer Dreads zwangsweise zu berauben.
An Dreads erhitzten und erhitzen sich in allen Zeiten die Gemüter und die Begründungen dafür sind vielfältig. Sicherlich ist es nicht verkehrt, sich immer und immer wieder mit historischen Hintergründen all der Dinge und Eigenarten zu befassen, mit denen wir uns umgeben.
Mit der Logik der Befürworter von kultureller Aneignung dürften sich heute Menschen aller Herren Länder die Haare nicht rot färben, denn in der Zeit der Inquisition wurden Menschen, vornehmlich Frauen mit roten Haaren häufig wegen dieser roten Haare als Hexen schwerst gefoltert, auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder mit der sogenannten Wasserprobe ertränkt.
(Quelle: Traumweberburg – Kulturelle Aneignung – An dieser Stelle einen herzlichen Dank an Felis!)
Ich finde es traurig, dass „Friday for Future“ nun so einen faden Beigeschmack durch diese Ausladung erleidet. Aber scheinbar war das nicht gut durchdacht mit der Formulierung an Frau Maltzahn. Sie selbst gibt folgendes Statement ab:
Zum Video: https://fb.watch/bZg-1FpSfV/
Ich hoffe sehr, dass man durch all die Shitstorms auf Social Media nicht weiter Spaltung betreibt und in eine ruhige und objektive Diskussion übergeht, ohne beleidigend zu werden.
Nachtrag Juli 2022: nun scheint es in dieser Diskussion im Netz wohl weiter zu gehen. Erst kürzlich wurde ein Konzert in Bern abgebrochen: Die Band Lauwarm spielte jamaikanische Reggae-Musik in einer Brasserie in Bern. Die Musiker sind weiß, Gäste fühlten sich unwohl. Der Veranstalter beendete das Konzert. (Quelle: Berliner Zeitung)
Bitte bleibt friedlich!
Liliana
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